dimanche 19 septembre 2010

Brigitte (und der JB) in Hoyerswerda

Und der JB war in Sochsn. Er wollte seinen besten Freund aus Frongraisch u.a. zwei Städte aus Sochsn zeigen. Erstmal Görlitz. Dann Hoyerswerda.
Warum Hoyerswerda?
Wer hat da gewohnt?
Wer ist dort dieses Jahr 2010 vor 60 Jahren umgesiedelt?
JBs Heldin aus der DöDöRrr:

© Lydia Goguel, Literaturzentrum Neubrandenburg

Genau: Brigitte Reimann. Wie immer rauchend.
Der JB wiederholt: Brigitte Reimann.
(Seufz…)

Brigitte Reimann ist in 1960 in die zweite Neustadt der DDR, Hoyerswerda, umgesiedelt. Genau am Sylvester 1959 schreibt sie in ihrem Tagebuch:
Das Abenteuer Schwarze Pumpe rückt uns auf die Haut, und ich fürchte, wir sind ihm nicht gewachsen. Am Mittwoch nächste Woche ziehen wir um.
Ein Paar Wochen danach, am 21. Januar, schreibt sie dann, stets in ihrem Tagebuch:


Aber zehn Tage vorher, d.h. am 12.01.1960, schreibt sie ihren Eltern - und Helene Schmidt von dem Kunstverein Hoyerswerda liest den Brief in Brigitte Reimanns ehemalige Wohnung (Burg ist die Stadt ihrer Eltern, wo sie bisher mit ihrem ersten Ehemann gelebt hat):



Und genau das schreibt sie 4 Jahre noch nachher, in einem Brief ab Klaus Koch (23.5.1964) - als wusste sie schon damals, was sie tat, als hätte sie eine ganz genaue Idee. Hat man das? Hat man eine ganz genaue Idee von seiner Handlungen, genau wenn man wie Brigitte Reimann voller Begeisterung dieser sozialistischen Utopie ist:
Wahrscheinlich war der Entschluss nach Hoy zu übersiedeln […] eine Art Kopfsprung ins kalte Wasser. […] Natürlich ist Hoy eine Etappe […]. Die nächste Etappe ist möglicherweise eine Grossstadt, Universität, Reisen — wer weiss. Man ist ja immer auf der Suche.
Der JB wiederholt:
Man ist ja immer auf der Suche.

Hier hat sie also gelebt:

© icke

Damals hiess die Strasse noch Liselotte-Herrmann-Strasse, aber nun heisst sie ja:

© icke

Und vor dem Haus, das eine Begegnungsstätte geworden ist, steht dieser Tafel:

© icke

Hier, in diesem Haus in Hoyerswerda, mit ihrem Mann Siegfried Pitschmann zieht also Brigitte Reimann in 1960 um. Das Jahr zuvor gibt es die sogenannte Bitterfelder Konferenz: Künstler sollen in die Produktion gehen, mit den Arbeitern leben und sogar arbeiten um ihre Welt genau zu verstehen und sie in ihren Werken besser darzustellen. Brigitte will diese Schrifstellerin sein: die die Arbeiter versteht, die die genau darstellt, die die (noch) an den Sozialismus glaubt, die die glaubt, dass sie auch durch die Kunst den Sozialismus schöpfen kann.
Hier sieht man sie, in der Schwarzen Pumpe:


Hier unten sieht man die Schwarze Pumpe, oder was sie geworden ist:

© icke

Wenn man sich umdreht und das Blaue verlässt, sieht man die Bahnhof Schwarze Pumpe:


© icke

Und die Schiene sehen so aus:

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Und wenn man sich wiederum umdreht, sehen sie jetzt so aus:

© icke

Ja, die Linie führt jetzt in das Nichts, die Bahnhof ist nur eine Gespensterbahnhof, die DDR existiert nicht mehr, die Schwarze Pumpe gehört nun Vattenfall und Brigitte Reimann ist seit 1973 tot.

Aber damals sieht die Schwarze Pumpe so aus:


Und die Neustadt Hoyesrwerda sieht so aus:


Dort, in Hoyerswerda, schreibt Brigitte Reimann Ankunft im Alltag. Der in 1961 herausgegebene Roman erzählt die Geschichte drei frischen Abiturianten: Recha, Curt und Nikolaus, die in eine sogenannte Neustadt für ein Jahr ankommen. Um dort in der Produktion zu arbeiten. Um Recha schreibt Brigitte Reimann:
Ich habe nüchternen Verstand — hätte sie sagen sollen —, um meine Schwächen zu erkennen: Mangel an Ausdauer, Angst vor jeder Veränderung, Unbeständigkeit der Gefühle —, ach, ein ganzes Register von schädlichen Eigenheiten —, und ich nehme dutzendmal im Jahr einen Anlauf, mit ihm fertig zu werden. Das hier, Herr Kramer, diese gewagte Fahrt ins Neuland, ist solch ein Anlauf, und diesmal will ich nicht auf halbem Weg stehenbleiben oder unbeherzt wieder umkehren.

Brigitte Reimann, sowie ihre Recha im Buch, gehört einer Generation, die wirklich an dieses Neuland im Sozialismus glaubt. Die glaubt, dass es nicht eine Utopie ist, sondern dass es im Alltag geschehen kann. Und dass sie wirklich da ankommen, dass es eine Ankunft ist. Also Ankunft im Alltag.
Mit diesem Roman ist Brigitte Reimann die Schöpferin einer neuen Welle der DDR-Literatur: die Ankunftsliteratur. Der zweite wichtige Roman dieser zehnjährigen Welle ist Der geteilte Himmel, in 1963 herausgegeben und von As Heldin aus der DöDöRrr: Christa Wolf. Und natürlich waren Christa und Brigitte Freundinnen.


5 Jahre nachher ist Brigitte Reimann inzwischen von Pitschmann geschieden
5 Jahre Nachher zieht Brigitte Reimann nach Neubrandenburg um.
5 Jahre nachher, teilt uns die Brigitte-Reimann-Gesellschaft, "marschieren Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR ein. [Brigitte Reimann] unterschreibt nicht die zustimmende Erklärung des Schriftstellerverbandes".
Denn 5 Jahre nachher, aber 6 Monate vorher, bekommt sie etwas erwartetes, etwas bösartiges:


Der JB wiederholt:
(…) man muss eben durch.

Krebs nennt sie aber die Krebserei - wie Anderen was anderes die Pikserei nennen.
In einem Brief an Christa schreibt sie, am 29.1.1969, fast zehn Jahren nach ihrem Umzug nach Hoyerswerda, und inzwischen ist sie wie gesagt nach Neubrandenburg nun umgezogen - und der JB ist noch nicht mal geboren:
Und die Krebserei natürlich. Fast das ganze vergangene Jahr habe ich verloren, trotz gelegentlicher Anfälle wahrer Arbeitswut, wenn ich die drei Schaufeln Erde poltern hörte. Sieben Monate Todesangst… Ich hab ja gewusst, dass ichkrank bin. Unbegreiflich, dass kein Art sich zu mehr als einem beschwichtigenden Lächeln aufrafft hat. Heute bekam ich von einer Charité-Kapazität die Rechnung für “ärztliche Bemühungen”. Makaber. Im Juli bin ich bei dem Berühmten gewesen; ich erinnere mich noch an den Tag, sogar an das Kleid, das ich trug (und jetzt nicht mehr tragen kann, wegen der Narben), und ganz scharf an den Augenblick, als ich das Caféchen stürzte, in dem Hans wartete, und nach einer Flasche Sekt brüllte. Gesund! ER hat's gesagt. Dieser Augenblick erschien mir — später — ärger als die Wahrheit, als die ganze Affäre, die Klinik, die Operation und so. Da hatte ich auch keine Angst mehr; weisst du, man hat einfach zu viel damit zu tun, gesund zu werden, zu trainieren, den Arm wieder gebrauchen zu lernen. Die Angst ist nachher wiedergekommen, und jetzt ist sie mörderisch, jetzt hat sie sich eingenistet in einem Bereich, für den ein Chirurg oder sonst ein Arzt nicht mehr zuständig ist. Jede Nacht, jede Nacht die entsetzlichen Träume. Die äusseren Spuren, diese Duellanten-Narben, lassen sich mit preussiger Haltung — dies sogar im Wortsinn — ertragen und kaschieren; kaum zu ertragen ist die Frage nach dem nächsten Mal, die man sich selbst immer wieder stellt. Prof. Gummel hat es wohlgemeint, als er, um mir das Rauchen zu verleiden, erzählte, man habe festgestellt, dass es bei manchen Menschen eine gewisse Anfälligkeit für die Gottseibeiuns gibt, eine Neigung der Zellen, bösartig zu werden. Ich drücke mich unwissenschaftlich aus, aber Du verstehst, was ich meine. Das mit den Zellen ist leider keine “Einrederei”. Die Zigaretten habe ich nicht weggeschmissen, dafür gewisse Schränkchen ausbaldowert. […] Nein, bei der nächsten Runde spiele ich nicht mehr mit.

Dazu antwortet Christa, am 5.2.1969 - und der JB ist immer noch nicht geboren:
[…] Das, was Du Deine “Krebserei” nennst. Ein paar Worte dazu, damit ich sie hinter mir habe. Ich weiss, dass man eigentlich gar nichts dazu sagen kann. Auch gegen angstvolle Nächte gibt es im Grunde kein Argument, ich weiss da, weil ich solche Nächte — aus anderen Gründen — kenne. Nur die Zeit kann Die wieder Lebenssicherheit zurückgeben,ich rechne sehr mit der Zeit. Dass es ein im wahren Sinn des Wortes einschneidendes Erlebnis bleiben wird, ist selbstverständlich. […] Ich werd anderthalb Monaten vierzig. Mir kommt beinahe vor, als ob man es dann, für die erste Runde, hinter sich hätte. Und bei der zweiten spielt man halt doch wieder mit, denn wer sagt dir, dass es die letzte wäre? Zu leben, und möglichst nicht gar zu sehr gegen den eigenen Strich zu leben, das heisst zu arbeiten und ein paar Leute daran teilhaben zu lassen, ist die einzige Art von Tapferkeit, die ich heute sehe. Mir gefällt sehr, wie Du sie aufbringst.


Am 20.02.1973 stirbt Brigitte Reimann an den Folgen von Krebs. Fünf Monaten später wäre sie 40 geworden.
† RIP, Brigitte.

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